Steffi Gedenk, 39, ist eine sehr erfahrene Lehr-MTU. Dass sie blind ist, hinderte sie nicht daran, zum zweiten Mal allein nach Indien zu fliegen. „Ich war zwei Wochen in Delhi, in der ersten Woche habe ich unseren indischen Trainerinnen geholfen, sechs Frauen auf die Prüfung vorzubereiten. In der zweiten Woche kamen Dr. Frank Hoffmann aus Mülheim und MTU-Trainerin Melanie Fromm aus Berlin nach. Zu dritt haben wir die Frauen dann im Auftrag der Kommissarischen Prüfungskommission geprüft, fünf Kandidatinnen haben mit tollen Ergebnissen bestanden, eine Kandidatin muss noch nachgeschult werden.“
Bereits 2017 wurden vier indische MTU-Trainerinnen in Deutschland ausgebildet. Sie qualifizierten in Delhi bereits im letzten Jahr sieben sehbehinderte und blinde Frauen. Die MTUs in Indien arbeiten nach denselben Standards wie in Deutschland, was die Methode, die Qualität und die Hygiene anbelangt.
Steffi Gedenk ist tief beeindruckt davon, wie viel das indische discovering hands-Team in einem Jahr erreicht hat. „Das Team in Delhi hat Kontakte zu Ärzten, Krankenkassen und Geldgebern geknüpft und will mehrere Standorte in Indien aufbauen. Ihr Vorgehen war aus meiner Sicht manchmal unkonventionell, aber in Indien kommt man eben auf anderen Wegen zum Ziel als in Deutschland. Die machen einfach, anstatt ewig zu planen.“
Am CK Birla Hospital for Women in Delhi wurde eine Studie mit mehr als 900 Frauen durchgeführt. Brustkrebs ist auch in Indien die häufigste Krebserkrankung bei Frauen, und nur erschreckende zwei Prozent nehmen an regelmäßigen Vorsorgen teil. Das Mammografiescreening erreicht nur wenige Frauen. In Indien erkranken die meisten Frauen etwa zehn Jahre früher an Brustkrebs als in westlichen Ländern, nämlich mit 40 bis 50 Jahren. Der Einsatz der MTUs erhöht die Wirksamkeit der Brustkrebsfrüherkennung signifikant.
Die National Association for the Blind (NAB) ist der indische Pilotprojektpartner für discovering hands, die Bayer Crops Science Group in India hat den Einstieg in den Subkontinent finanziert. Dr. Frank Hoffmann, der als Sozialunternehmer discovering hands neben Deutschland inzwischen auch in Österreich, Mexico und Kolumbien aufgebaut hat, strebt auch in Indien die größtmögliche Verbreitung der Taktilographie an, der Tastuntersuchung der weiblichen Brust durch MTUs zur Verbesserung der Brustkrebsfrüherkennung. In Delhi gab er eine Pressekonferenz, unter anderem berichteten die Times of India und die Onlinezeitung indian express ausführlich (Link zum Artikel siehe unten.)
Melanie Fromm fasst ihre Eindrücke von der Reise so zusammen: „Es war spannend zu erleben, wie das Konzept von discovering hands in einem Land mit im Vergleich zu Deutschland doch sehr unterschiedlichen Ausgangsbedingungen mit großem Erfolg und hoher Anerkennung umgesetzt wird. Mit welchem Engagement und Motivation die von uns zertifizierten MTUs nun in Indien arbeiten, war zudem sehr schön zu sehen: Blinde Menschen, die in Indien oft ein geringes Ansehen genießen, werden als Tastexpertinnen plötzlich von allen hoch geschätzt.“
Steffi Gedenk ist nach den zwei dicht gefüllten Wochen in Delhi etwas geschafft, aber glücklich über die Möglichkeit, am Aufbau von discovering hands in Asien mitwirken zu können. „Vielen Deutschen würde es guttun, den Alltag in Delhi zu erleben und ihre hohen Ansprüche etwas runterzuschrauben. Es ist laut, voll und heiß. Aber alle haben Geduld und bleiben ruhig, auch in einer Schlange von 100 Leuten. Mit Ruhe klappt eben alles besser.“
Die MTU-Trainerin hatte in dem ungeheuren Verkehr in der indischen Metropole Mühe, die Vielfalt von Geräuschen zu filtern. Obwohl ihr Wohnort Berlin auch nicht gerade ein Dorf ist. „Das gleichmäßige Rauschen der Klimaanlage im Hotel war dann direkt erholsam“, erzählt sie schmunzelnd. Essen und Getränke kann Steffi Gedenk inzwischen auf Hindi bestellen. Mit den MTU-Anwärterinnen, zwischen 18 und 33 Jahre jung, hat sie sich in englischer Sprache verständigt. „Manche der blinden Frauen in Indien haben schon sehr harte Dinge erlebt“, berichtet die MTU. „Die Arbeit als MTU in Krankenhäusern gibt ihnen eine völlig neue Lebensperspektive.“
Gudrun Heyder
Link zum Artikel im indian express